Nicole Nix-Hauck
4 c o l o u r s 4 r o o m s
Der Titel, den Susanne Stähli für ihre Ausstellung gewählt hat, umreißt das ihr zugrunde liegende Konzept lapidar und prägnant: 4 colours 4 rooms – vier Farben vier Räume. Nicht mehr und nicht weniger ist Ausgangspunkt und Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung ihrer in der Städtischen Galerie Neunkirchen geschaffenen Installation. Nicht mehr und nicht weniger erwartet den Betrachter: Vier Farben, vier Räume – und doch eine Fülle sehr intensiver, eindrücklicher Seherlebnisse, die das subjektive Empfinden, die Wahrnehmung atmosphärischer Stimmungen ebenso ansprechen wie sie zur intellektuellen Reflexion über die Erscheinungs- und Wirkungsweisen von Farbe herausfordern können.
Susanne Stählis Farbmalerei, die sie hier im Rahmen einer konzeptionellen Raumarbeit präsentiert, ist nicht Gestaltung durch Farbe, sie ist Realisierung von Farbe. Die Künstlerin löst die Farbe auf der Leinwand aus semantischen und weitgehend auch aus formalen Zusammenhängen und setzt sie in ein interaktives, sich auf vielfältige Weise äußerndes Verhältnis zum Raum. Die ihren Bildern wesenhafte Tendenz zur Entgrenzung der Farbe erhält ein durch die dritte Dimension durchaus real erweitertes Aktionsfeld. Die weder an eine Darstellungsfunktion noch an innerbildliche Formvorgaben gebundene Farbe bestimmt den Raum und ändert sich gleichwohl mit ihm und seinen architektonischen und situativen Bedingungen.
Dabei fällt dem Licht naturgemäß eine zentrale Bedeutung zu. Die farb- und raumkonstituierende Wirkung des Lichts ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus von Susanne Stählis Kunst gerückt und wurde 2010 von ihr erstmals in einem umfassenden Farb-Raum-Konzept für eine Ausstellung des Clemens-Sels-Museums in Neuss künstlerisch inszeniert.
Auch ihrem 2011 realisierten Kunst-am-Bau-Projekt im Polizeipräsidium Bochum liegt die Idee des durch Farbinterventionen „verwandelten Raumes“ zugrunde. Das lichtdurchflutete Foyer des Gebäudes wurde von der Künstlerin durch den systematischen Einsatz der Farbe Grün in Deckenbemalung, Lichtstreifen und partiell eingefärbten Fensterflächen in einen „Farb-Lichtkörper“ (Hans Günter Golinski) verwandelt.
Für die Ausstellung in der Städtischen Galerie Neunkirchen hat Susanne Stähli zum ersten Mal ein künstlerisches Gesamtkonzept erstellt, das ihre Malerei mit dem sie umgebenden Raum gleichsam zu einem farbigen Kontinuum verschmelzen lässt. Farbe wird erlebbar nicht nur im Farbraum des Bildes oder in der farbigen Inszenierung des Raumes durch das Licht, sondern in der Verbindung beider, aus der sich ebenso komplexe wie subtile Wechselwirkungen ergeben.
Die besondere räumliche Situation in dem 1883 errichteten Gebäude der Galerie, das früher Sitz des Alten Amtsgerichts war und mehrfach umgebaut wurde, nahm Susanne Stähli zum Anlass für ein sehr schlüssiges und nicht minder wirkungsvolles Farbkonzept. Der Abfolge der vier Ausstellungsräume, die sich über drei Etagen verteilen und über ein schmales Treppenhaus miteinander verbunden sind, antwortet die Künstlerin mit einer „farbatmosphärischen Anordnung“, nach der jeder Raum eine der vier Grundfarben repräsentiert, wobei sich die Tonwerte tendenziell nach oben hin aufhellen: Blau im Erdgeschoss und Gelb im Dachgeschoss umschließen die Komplementärfarben Rot und Grün in zwei parallel angeordneten Räumen im Zwischengeschoss des Hauses.
Die farbatmosphärische Wirkung sowohl der einzelnen Räume wie auch der Gesamtinstallation entfaltet sich im dynamischen Zusammenspiel der Leinwandarbeiten mit dem farbigen Leuchten der Fensterflächen und ihrer Reflexion auf Boden und Wände. Ihre künstlerischen Eingriffe in den Raum beschränkt Susanne Stähli darauf, die Glasscheiben der Fenster mit durchleuchteten Farbfolien und transparenter Tuschemalerei zu versehen, wodurch das einfallende Tageslicht unterschiedliche Farbtönungen erhält, die sich dem Raum je nach Sonnenstand und in Abhängigkeit von den natürlichen Lichtverhältnissen mehr oder weniger stark mitteilen. Die farbige Erscheinung des Lichts wird vielfältig moduliert durch Ton- und Helligkeitsabstufungen der jeweils raumbestimmenden Grundfarbe und durch verschiedene Grade von farbiger Transparenz sowie durch den Wechsel zwischen den gleichmäßig durchleuchteten Folien und dem unregelmäßiges Licht verstreuenden gestischen Farbauftrag. Deshalb ist sie niemals statisch. Der Betrachter nimmt das veränderliche einfallende Farblicht als ein Moment der Bewegung im Raum wahr, auch dann, wenn er keine Gelegenheit hat, seinen tageszeitlich bedingten Wandel zu verfolgen.
Unterstützt wird dieser Eindruck durch die eigene Bewegung des Betrachters. Beim Gang durch die Ausstellung bewegt er sich sozusagen von unten nach oben durch das gesamte Farbspektrum, wodurch die sich verändernde Wahrnehmung unmittelbar erfahrbar wird. Doch welchen Einfluss hat die Arbeit mit farbigem Licht auf die Erscheinung der Bilder? Welche Wechselbeziehungen ergeben sich, wenn Bildfarbe und farbige Lichtereignisse gleichzeitig im Raum wirksam werden? Und: Wie „authentisch“ ist das Bild noch, wenn es farbigem Licht ausgesetzt wird? Natürlich ist die Erscheinungsweise der Bildfarbe, wie die jeder Farbe, grundsätzlich immer abhängig vom jeweiligen Licht und der Umgebung, die selbst im idealen „White Cube“ nie völlig neutral sein können, sodass sich zwangsläufig die Gegenfrage stellt, wann die Farbe eines Bildes tatsächlich authentisch ist. Es wäre jedoch völlig verfehlt anzunehmen, Susanne Stähli nähme um der Lichteffekte willen die farbliche „Verfälschung“ ihrer Gemälde in Kauf, die sich gerade durch ihre subtile, ungemein nuancenreiche Farbwirkung auszeichnen. Sie sind das Ergebnis langwieriger Arbeitsprozesse, erwachsen aus unzähligen, hauchdünnen Schichten stark verwässerter Acrylfarbe, wobei erst die fein abgestimmte Differenzierung der Lasuren die für Stählis Malerei so charakteristischen transparenten Farbräume erzeugt, die aus der Tiefe heraus zu „atmen“ und verhalten zu leuchten scheinen. Der Malvorgang ist ein kontinuierliches Abwägen von Farbentscheidungen, wofür die Künstlerin den treffenden Vergleich mit Verfahren der Homöopathie heranzieht: Die Wirkung entfaltet und potenziert sich aufgrund kleinster Dosierungen.
Die Verbindung von Susanne Stählis Tafelbildern und ihren Farbinterventionen im Raum ist nur dadurch möglich, dass die Bilder unter herkömmlicher Museumsbeleuchtung präsentiert werden. Das durch die Fenster einfallende farbige Licht beeinflusst sie nur insoweit, als es als atmosphärisches Medium fungiert, welches die Farben keineswegs vereinheitlicht, sondern – im Gegenteil – dazu beiträgt, dass sich die Vielzahl von Tönen, Klängen und Schwingungen innerhalb des blauen, grünen, roten oder gelben Spektrums ihrer Arbeiten 8 artikuliert. Zu dieser indirekten Wirkung des farbigen Lichts tritt die unmittelbar anschauliche Wirkung der farbig leuchtenden Fensterflächen. Durch die Eingriffe der Künstlerin erhalten die Fenster eine ganz neue Qualität als eigene Farbformen und gehen als solche eine dialogische Beziehung mit den Bildern ein.
Sie integrieren Elemente des Außenraumes, die durch die unterschiedlich dichten Farbfilter verfremdet und bis zu einem gewissen Grad abstrahiert erscheinen. Ein Stück Himmel etwa, das sich im bewegten Duktus des roten, wolkig verdichteten Farbraumes eines Bildes wiederfindet – eines farbigen Tiefenraumes, der bei längerer Betrachtung erkennen lässt, dass er nicht opak verdichtet ist, sondern nach oben und nach unten hin licht und leicht und durchlässig wird. Der auch nicht „rot“ ist, sondern in seinen Farbverläufen eine ganze Skala von Rottönen eröffnet, von tiefem Schwarzrot über Bordeaux, Purpur, Rubin, Karmin und Kadmiumrot bis hin zu kaltem Pinkrosa. Vielleicht zeichnen sich durch die farbige Folie auch die Schatten eines Fenstergitters ab, die in der rasterartigen Textur eines aus komplementärem Rot und Grün geschichteten Gegengrau eine überraschende Entsprechung finden. Oder es verändern sich die verschiedenen Blautöne schmaler, raumhoher Fensterbahnen mit der Bewegung eines Passanten oder mit einem Lichtschein, der sie von außen durchdringt und antworten blauen Verticals an der benachbarten Wand.
Auch sie sind nicht „blau“ im Sinne einer verbindlichen Determiniertheit von Farbe, sondern fächern zahlose Blauwerte in dichter vertikaler Folge auf: Milchig-helles, mit Grau und Weiß durchsetztes Blau, Wasserblau, Himmelblau, Türkis und Cyan oder dunkles Nachtblau, das sich zu Preußischblau, Indigo, Ultramarin, Kobalt, Manganblau und vielen anderen Tönen aufhellt, zwischen denen leuchtendes Türkis und Violett wie die Reflexe gebrochenen Lichtes aufscheinen.
Da die Erscheinung der Farbe in den Arbeiten von Susanne Stähli immer übergänglich und darum nie wirklich fassbar ist, können Farbbezeichnungen wie diese nur als Hilfsbegriffe dienen, um ihre Vielstimmigkeit zu umschreiben, die sich im Zusammenwirken mit dem Licht als fluktuierende Bewegung im Raum äußert. Mit der räumlichen Systematisierung der Farben, wie sie in der Installation 4 colours 4 rooms als sinnliches Ereignis inszeniert wird, zeigt Susanne Stähli gerade, dass sich die Erscheinung der Farben letztlich der Systematisierung entzieht und bestätigt die These des Bauhauslehrers Josef Albers: „In visueller Wahrnehmung wird eine Farbe beinahe niemals als das gesehen, was sie wirklich ist, das heißt, als das, was sie physikalisch ist. Dadurch wird die Farbe zum relativsten Mittel der Kunst.” (1)
(1) Josef Albers, Interaction
of Color, Grundlegung einer
Didaktik des Sehens, Köln 1970